• Zum Entstehungsprozess der noetischen Hand Arbeiten
• Erläuterung des Begriffes "noetisch"
• Interview von Geseko von Lüpke mit Alexandra Hendrikoff
• Gedankliche Vernetzung, Inspiration und Bestärkung
»Ein Schnauzhaar der kosmischen Katze«
Interview von Geseko von Lüpke mit Alexandra Hendrikoff
G.: Du nennst deine Arbeit »noetische Hand Arbeiten«.
Was ist das für ein Begriff und wofür
steht er?
A.: Das Adjektiv »noetisch«, aus dem ich den Begriff »noetische Hand Arbeiten« für meine
Arbeit bildete,
ist mir in dem Buch eines Gehirnforschers über
synästhetische Sinneswahrnehmungen begegnet. Für mich beschreibt es jenes geistige Erkennen,
das auf ganz anderen Wegen Wissen sammelt
als die übliche übliche wissenschaftlich-analytische
Labor-Erkenntnissuche.
Denn in ihr nimmt man Objekte aus dem Naturzusammenhang heraus,
zerlegt sie in Einzelteile und versucht darüber die Ganzheit zu begreifen.
Ich verstehe unter noetischer Erkenntnissuche,
sich selbst, mit allen Sinnen und viel Empathie in
das Umfeld zu begeben und über das genaue Beobachten wahrzunehmen.
So wird es möglich, ein Verständnis zu erlangen
für das Umfeld, für Naturprozesse und dabei vielleicht nicht unbedingt rationale Erklärungen
zu bekommen, sondern ein inneres Wissen über
die Dinge, eine tiefe Erkenntnis, die vielleicht nicht
verbalisierbar, aber fühlbar ist.
G.: Das ist ein Bild, das weggeht von der klassischen westlichen Art und Weise Realität sezierend, zerlegend, tötend wahrzunehmen. Ist das, was Du versuchst, ein lebendiger mitfühlender und mitweltlicher Ansatz?
A.: Ja, auf jeden Fall. Da entferne ich mich von einer Haltung, die sowohl in der Wissenschaft, als auch in der Kunst gerne eingenommen wird. Wenn ich z. B. von Aristoteles lese, wie er den Bildhauer als den Macher beschreibt, der die rohe unbestimmte Materie nimmt und Neues schafft oder umformt nach seinem Willen, wiederstrebt mir das genauso wie die wissenschaftliche Ebene, die ebenso dominant, sezierend und zerteilend drangeht und auch in Kauf nimmt zu töten, um Erkenntnis zu gewinnen. Für mich ist es »selbst-verständlicher«, mich ins pulsierende Getümmel hinein zu begeben, mitzuschwingen, in Resonanz zu kommen, um zu versuchen, die Dinge und Prozesse von innen zu verstehen. Das hat sehr viel mehr mit Empathie, möglichst wachen Sinnen, hoher Achtsamkeit sowie Respekt zu tun. Es ist einfach das, was sich in meiner Arbeit als »Ariadnes Faden« entwickelt hat. Die sinnliche Wahrnehmung ist für mich ein sehr wesentlicher Teil der Bildhauerei und ich mache dabei den wörtlich zu nehmenden Versuch, die Welt zu begreifen, mit meinen Händen, mit allen Sinnen und dann natürlich auch mit der Ratio.
G.: Das kreative Feld, das Du abdeckst, ist ja mit Plastiken, Bildhauerei, Objekten, Elementen der Land Art und Arbeiten auf der Leinwand ein ganz weites und deckt viele Bereiche der bildenden Kunst ab. Wie skizzierst Du zwischen diesen vielen Techniken Deinen künstlerischen Weg?
A.: Im Vordergrund steht immer erst mal ein Thema, das mich beschäftigt. Ihm folgt die Frage, in welchem Medium sich dies ausdrücken lässt. Daraus erwachsen fast ausschließlich räumliche Arbeiten. Selbst wenn ich eine Leinwand bearbeite, wird sie eine modellierte Oberfläche und in einer – wenn auch minimalen Reliefform – dreidimensional. Die sinnliche Wahrnehmung des Betrachters hat im Räumlichen mehr Orientierungspunkte, er kann sich darin besser bewegen und unterschiedliche Perspektiven einnehmen. Genau das ist mir bei dreidimensionaler Arbeit so wichtig: Dass man nicht nur die eine Bildebene hat, sondern darum herum, möglicherweise auch hineingehen kann und sich einem dadurch unendlich viele unterschiedliche Ansichten erschließen. Die Wahl der Materialien ergibt sich aus dem Inhalt der Themen und da ist alle Freiheit nur gut. Sich nicht einzuschränken, schenkt neue Herausforderungen. Und auch der Ort fordert Beachtung, je nach Ausstellungsmöglichkeit. Ist man, zum Beispiel, zu einem Symposium auf dem Land eingeladen, bietet es sich einfach an, mit Natur zu arbeiten. All das gemeinsam ergibt dann die Wahl der Mittel.
G.: In Deinem Atelier stehen einerseits große Plastiken, und andererseits gibt es feine Arbeiten, die man sich kaum anzuschauen traut, weil sie so fein sind, dass sie auseinander zu fallen drohen. Wo verläuft in diesen völlig unterschiedlichen Darstellungsformen von großen massiven bildhauerischen Arbeiten und ganz feiner Pinzetten-Arbeit der Weg? Kann es immer wieder zwischendurch auch zu solchen massiven Arbeiten kommen oder sind sie immer filigraner geworden?
A.: Also grundsätzlich würde ich sagen, dass hat sich immer feiner ausdifferenziert. Ich hab in der Akademie ganz klassisch mit lebensgroßen Akten begonnen, weil mich Körper, das Im- Körper- oder Ein-Körper-sein so interessiert hat, dass ich mich damit beschäftigen wollte. In der Auseinandersetzung mit traditioneller Bildhauerei und auch mit den Kollegen glaubte ich mithalten zu müssen. Denn da geht es sehr oft darum, dass eine Arbeit erst existent und wertvoll ist, wenn sie drei Tonne wiegt. Aber mit der Zeit habe ich meine eigenen Wege eingeschlagen, oder sie haben sich mir aufgetan, sich in mir gezeigt. Meine Arbeiten sind einfach immer zarter geworden und die Fragilität des Seins für mich immer präsenter. Dieses sich mit Eisen und Beton gegen die Erosion des Lebens zu stemmen wurde immer sinnloser. Für mich ist diese Zartheit näher an der Lebendigkeit, an der Realität der Vergänglichkeit und an der Wandelbarkeit der Existenz in jedem Augenblick. Das ist mit einem Stahl-Glas-Beton Element nicht so darzustellen. Die Luftigkeit meiner Arbeiten, die sich bei jedem durch den Raum gehen mit einem mitdrehen und mitbewegen, ist für mich berührender.
G.: Ist diese Fragilität des Seins, die Veränderbarkeit, die Präsenz jeden Augenblicks das verbindende Element der meisten Arbeiten in Deinem Werk?
A.: Das ist aus dem Prozess meiner Entwicklung entstanden: ich glaube, ich komme immer näher an den Punkt des Lebendig-Seins, je veränderbarer und wandelbarer eine Form bleibt. Auch wenn ich dann in den Papierkörpern zu einer bestimmten Form komme, die sich jetzt nicht so offensichtlich jeden Tag verändert, scheinen sie doch wandelbarer. Das ist für mich wichtig, da es näher an unserer existenziellen Realität ist.
G.: Diese erste große Figur hier ist ein Selbstbild, das Du mit verbundenen Augen, also wie blind, geschaffen hast und das dann mit verschiedenen Hüllen oder Häuten versehen wurde. Geht es da um die Auseinandersetzung mit dem Innen und Außen und wie unsere Innenwelt mit der Außenwelt vernetzt ist?
A.: Ja, das war für mich seit dem Studium ein zentraler Punkt. Die Bühnenbildklasse hatte bei einer Sommerausstellung der Akademie einmal einen Raum aus Filzwänden gestaltet. Er war komplett abgedunkelt, man ging in die absolute Finsternis, sogar die Geräusche waren gedämpft. Als ich mich ins Zentrum getastet hatte, hab' ich mir gedacht: »Wie wäre es jetzt, frei von jeglicher Kontrolle des Auges zu modellieren.« In dem Moment, an dem ich in diesem Dunkel saß, habe ich gewusst: Ich möchte mit verbundenen Augen oder eben im Dunkeln modellieren, um mich mehr auf die sinnliche Realität des Körper-Seins zu konzentrieren. Eben nicht bei dem »schön gemacht, gut gemacht, stimmige Proportionen« stehen zu bleiben. Ich hab gemerkt, es war gut, diese äußere Hülle bearbeitet zu haben, aber es interessiert mich ein weiterer Schritt. Und dann habe ich damit angefangen, mit einer schwarz lackierten Schwimmbrille vor den Augen zu arbeiten. Als erstes habe ich zwei Portraits modelliert und war völlig verblüfft, wie gut es funktioniert, blind zu arbeiten. Dann bin ich tiefer in diesen Prozess eingetaucht und habe lebensgroße Figuren mit verbundenen Augen modelliert. Ich habe sie auch nicht mehr am Abend kontrolliert, sondern unbesehen verhüllt und dann am nächsten Tag weiter daran gearbeitet, bis ich das Gefühl hatte, sie seien fertig. Was schlussendlich sehr viel beeindruckender war, auch wenn mich das Ergebnis interessiert und berührt hat, war der Prozess des Arbeitens. Wenn man zehn Stunden hochkonzentriert mit verbundenen Augen arbeitet, geht alle Information durch den Körper – das ist eine sehr sinnliche Erfahrung. Man hört viel genauer, man spürt sich selbst die ganze Zeit viel konkreter. Da ist mir so bewusst geworden, wie sehr es meine Wahrnehmung verändert. Nach zehn Stunden mit verbundenen Augen habe ich mich gefühlt wie ein Raum und nicht mehr wie ein kompakter Körper. Alle meine Sinne waren nach Innen gezogen und ich hab dadurch die konkrete Dimension meines Körpers fast verlassen. Ich hatte wahrnehmen können, dass man sich klein fühlen kann wie ein Fingerhut und riesig wie ein Berg, und dass die Selbst-Wahrnehmung eine ganz variable Größe ist. Dieses Erlebnis hat mich eigentlich zum ersten Mal dazu gebracht, von diesem Blind-Akt-Selbstportrait eine Papierhülle zu machen. Mit der Papierhülle selbst war ich dann in der Lage, den inneren Raum sichtbar zu machen. Das war der Anfang von all diesen Papier-Hüllen-Arbeiten, die das Innen und Außen als Gesamt-Feld thematisierten.
G.: Deine Kunst wirkt wie ein bildendes Forschen an biologischen Formen. Manchmal sehen diese Arbeiten aus, als wären sie einem wissenschaftlichen Buch über Zellstrukturen entnommen. Sind die Anleihen aus der natürlichen Welt so etwas wie ein Vokabular oder wie ein Alphabet des Lebens für Dich?
A.: Ja, unbedingt. In der intensiven Auseinandersetzung mit diesen Papierhüllen habe ich mich mit der Haut als Grenze beschäftigt. Die Haut grenzt ja nichts ab, sondern ist eher eine Membran, auf der Berührung stattfindet. Und bei diesem Erforschen der inneren und äußeren Räume sind Strukturen aufgetaucht, die ich überall wiedergesehen habe. Beispielsweise die Form runder Zellen, die am Strand an den Lippen der Wellen, im Froschlaich, in der Rundung von Sonne und Erde wahrnehmbar sind. Diese Kreis-Kugel-Form, gefüllt mit Wasser, Luft, Feuer und Leben, durchzieht alle Bereiche wie eine Grundmatrix. Mir wurde klar, dass es bestimmte Basisstrukturen gibt, denen es egal ist, ob sie in einem menschlichen Körper, in einer Quelle oder im Universum vorkommen. Materie bildet sich immer wieder in solchen Mustern aus. Diese auch als Fraktale bezeichneten Formen tauchen immer wieder auf, im Kleinsten wie auch im ganz Großen. Dieses Grundvokabular des Lebens durchwirkt auch meine Arbeiten.
G.: Wir nehmen die Haut in der Regel mehr als Grenze wahr, als Wand zwischen innen und außen, die Innenwelt und Umwelt abgrenzt. Wenn Du sie als Membran siehst, geht es dann darum, sich anders mit der Umwelt zu verbinden, damit sie Mitwelt wird?
A.: Ja, ich thematisiere die Durchlässigkeit der Haut und der Zelle. Diese Qualität wirkt im großen wie im Kleinen. Würde eine Zelle ihre Membran dicht halten, müsste sie Absterben. Es ist lebensnotwendig, im Fluss zu sein. Natürlich muss die Haut oder Zelle dabei aussieben, was sie einlässt und was sie rausgibt. Die Haut ist für mich die Ebene der Differenz, die Kontakt und Beziehung überhaupt ermöglicht, aber nie eine eindeutige Grenze. Wir ragen mit unserer ganzen Wahrnehmung, weit in den Raum hinein. Schon allein durch den Atem verteilen wir uns permanent im Raum und beim Einatmen nehmen wir Raum in uns auf, mit allem was in der Luft schwebt. Dieser Austausch und die ständige Kommunikation ist ein zentrales Thema von Leben überhaupt. Da, wo zu sehr abgegrenzt wird, stirbt auch etwas ab. Trotzdem hat die Haut natürlich auch eine wichtige Schutzfunktion, hält unser Inneres geborgen und warm. Dennoch entspricht ihre Durchlässigkeit mehr der Wirklichkeit als die Vorstellung, sie sei ein kompakter von der Umwelt abgetrennter Körper.
G.: Greift man die Metapher der »Vokabeln« oder des »Alphabet des Leben« auf, dann entstehen neue Zusammenhänge: Dann entstehen aus Buchstaben Worte, aus Worten ein Satz und daraus eine Geschichte. Was sind das für Geschichten, was sind das für poetische Bilder, die Du mit diesem Alphabet oder diesen Vokabeln neu zusammensetzt?
A.: Es interessiert mich nicht, ein Samenkorn anzuschauen, um es konkret nachzubauen. Statt dessen will ich eher sein Vokabular nutzen, um eigene Formen daraus zu bilden. Das ist ähnlich, wie Kinder im spielerischen Umgang mit Sprache neue Worte kreieren und damit manchmal tiefe Wahrheiten ausdrücken. Ich würde auch nicht sagen, dass diese Gebilde unbedingt meiner Fantasie entspringen, ich sehe mich weniger als Schöpferin denn als Fischerin. Das sind Bilder-Fische, die bei mir aus dem Ur-Vokabular auftauchen, wo auch immer sie sich zusammengesetzt haben. Im besten Fall ergeben sie ein Gedicht, eine Ode an das Leben, um mich selbst und vielleicht auch den Betrachter in ein Mitschwingen mit diesem Strukturen bildenden Urgrund zu bringen. Sie sollen aber eben nicht die Sicherheit bieten: »Aha, das ist ein Löwenzahn, das ist eine Muschel, das ist eine Blüte!« Sondern: »Hey, das könnte eine Blüte sein! Aber auch eine mögliche Unterwasser-Lebensform, vielleicht aber auch die Großaufnahme einer Samenkapsel!« – , dass es so hin und her switcht. Meine Erkenntnis sagt mir, dass alles untrennbar miteinander verbunden und somit gar nicht so klar einzuordnen ist. Wir definieren die Wirklichkeit gerne in klaren Kategorien, ich aber will zeigen, dass die Übergänge eigentlich fließend sind.
G.: Gleichzeitig lösen die Arbeiten ja gerade über dieses Könnte-dies-sein, könnte-das-sein Irritationen beim Betrachter aus. Denn der Betrachter Deiner Arbeiten weiß manchmal nicht, ob Deine Arbeiten Kunst oder Natur selbst sind. Denn man kann manche Deiner Objekte mit Pflanzen verwechseln, wenn man denkt: »Da hängt irgendeine Pflanze an der Wand.«, die man nur nicht kennt, die aber besonders schön ist. Oder man weiß nicht, ob es sich um ein fremdes Tier oder eine Samenkapsel handelt. Geht es Dir da erst mal um Verwirrung, um Konfrontation mit dem Undefinierbaren oder dem Unerwarteten?
A.: Ich finde es auf jeden Fall spannender, wenn man es nicht gleich in eine Schublade sortieren kann, weil das, natürlich, eine genauere Wahrnehmung auslöst. Die Schulung der Wahrnehmung und der Sinne zu betreiben und dazu wenn möglich auch in meinem Umfeld anzuregen, ist für mich ein ganz zentrales Thema. Denn eigentlich ist jeder Tag und jeder Schritt in die Welt ein riesiges Wunder an Begegnungen. Wir schalten so schnell auf Automatik, sehen im Augenwinkel eine Blume und das Gehirn sagt: »Eine Blume, bekanntes Objekt, du kannst weitergehen.« Dabei nehmen wir die Einzigartigkeit dieses Lebewesens nicht mehr wahr, was natürlich für den Alltag praktisch ist, denn aktive Gehirnleistung kostet sehr viel mehr Energie als automatische Handlungen. Doch für das eigentliche »In-der-Existenz-Sein« kann es tödliche Folgen haben, weil man sehr viel übersieht, womöglich überfährt oder missachtet. Es ist nicht mein Ansinnen, die Leute zu irritieren. Aber ich will sie ein bisschen aus der automatischen Spur bringen, so, dass sie sich Zeit nehmen, inne zu halten, ein zweites Mal hinschauen und sich die Fragen stellen: »Was ist das denn wirklich?« Eigentlich könnte man sich das auch bei seinem Beziehungspartner jeden Tag wieder, fragen: »Wer ist das denn heute? In welchem space ist der denn jetzt gerade?« Diese Achtsamkeit wäre in aller Weltbegegnung heilsam. Gelingt es mir, sie mit meiner Arbeit zu berühren, dann ist mir das eine große Freude.
G.: Aber eine Wirkung ist, dass Du praktisch mit Deiner Arbeit an die künstlerische Ästhetik von Natur erinnerst oder Sinne weckst, auch natürliche Formen bewusster anzuschauen?
A.: Unbedingt! Schon allein deshalb, weil wir das selbst sind. Das bewusste Betrachten des anderen schließt die Bezugnahme auf uns selbst mit ein. Suchen wir Resonanz, dann schwingen wir mit, oder finden eine Spiegelung unserer Seins-Zuständen in dem natürlichen Umfeld.
G.: Ist da ein Unterschied zwischen dem menschlichen Künstler und der Natur als Künstler? Oder sind wir Natur und damit künstlerische Natur?
A.: Ich würde auf jeden Fall sagen, dass uns das Universum eine Begabung zum künstlerischen Austausch mit der Natur mitgegeben hat. Ich finde es ein sehr schwieriges Thema, sich herauszunehmen, Urheber zu sein, oder zu behaupten, etwas ganz Neues zu erfinden. Wahrscheinlich gibt es im Einzelnen die Formen, die ich gemacht habe, so nicht. Aber ich weiß es nicht, ich war ja noch nicht im ganzen Universum. Wer weiß schon was, wo auch immer, da noch wächst. Dennoch sind es in meinem Ausdruck mögliche Formen, da sie aus diesem Grundvokabular entstanden sind. Für mich kann ich ganz klar sagen, dass ich mich, als kleiner Teil des Ganzen, auf die Natur als die Urmutter der Kreativität beziehe und nicht in erster Linie auf Kunsthistorik.
G.: Gibt es in der Kunstgeschichte überhaupt ähnliche Arbeiten wie Deine oder ist das in der Form ein ganz neuer Ansatz?
A.: Ich bekomme schon oft, von Leuten, die meine Ausstellungen besuchen, gesagt: »So etwas habe ich noch nie gesehen!« Aber ich denke, dass es den Ansatz schon immer gegeben hat, als Urgrund für jegliche kulturelle Äußerung, mit Natur zu tönen, tanzen, malen, formen, um kommunizierend Schöpfung zu begreifen. Auch nach der in unseren Kulturen entstandenen Trennung von Mensch und Natur, tauchte dieser Ansatz auf unterschiedliche Weise immer wieder auf, zum Beispiel bei Georgia O´Keeffe mit ihren sinnlichen Blütendarstellungen. Auch bei Yayoi Kusama, die in Filmen, Objekten, Bildern und Installationen ihre Wahrnehmung, die Welt bestehe aus lauter bunten Kreisen (»dots«), umsetzt. Auch Pipilotti Rist mit in ihren sinnlichen, multidimensionalen und damit vernetzenden Kamerafahrten über Körper, Pflanzen und Landschaft. Da gab und gibt es schon viele, die sich auf ihre Weise damit auseinandergesetzt haben. Vom Arbeitsprozess her sehe ich auch eine Verbindung zum Mandala legenden Buddhisten, der mit Sand Bilder schafft, die dann wieder verweht oder auch weggekehrt werden. Ein Tun, das im Arbeitsprozess sehr viel Hingabe bedeutet, wird zu einer Meditation. Auch da gibt es Überschneidungen.
G.: Aber es lässt sich schon sagen, dass Du aus der Kunst der Natur schöpfst, um Neues zu schaffen?
A.: Ja, mit allem Mut zum Dilettantismus. Sie ist natürlich uneingeschränkt die Meisterin und ich gehe da in den Kindergarten und spiele eine bisschen mit.
G.: Siehst Du Dich da als jemand, die diese filigranen Formen des Lebendigen imitiert? Oder ist es eine Neu-Formung , eine Neudefinition, eine Neuschöpfung von lebendigen Formen. Oder ist es vielleicht eine Reduktion auf Grundformen, die eben alles durchziehen?
A.: Das ist unterschiedlich, je nach dem welches Objekt ich gerade bearbeite. Bei Bodenbemalungen und der Arbeit Flechtwerk ist es die Reduktion auf das Muster der Kreise. In vielen Objekten erscheint ein schöpferisches Moment schon allein dadurch, dass ich oft mit Samen arbeite. Landete solch ein Papierobjekt in einem wachstumsfördernden Milieu, z. B. auf dem Kompost, würden diese Samen keimen. Dadurch findet aber nicht die Vermehrung meiner Objekte statt, sondern es würde Löwenzahn keimen, oder Gras, Bohnen und ähnliches, mit dem ich arbeite. In gewisser Weise ist es schon eine Form von Neuschöpfung, die aber nur aus einer bestimmten Resonanz hervorgeht. Wie die Zellteilung, sich einfach Zeit nimmt und Stück für Stück entsteht, so empfinde ich es auch beim Arbeiten, wenn ich ganze Felder aus Löwenzahnsamen setze. Auch hier kommt Zelle für Zelle dazu. Ich empfinde das mehr als ein Zuhören – und bei dem Zuhören entsteht eine Form.
G.: Du sprichst jetzt von Löwenzahn und Bohnen. Heißt das, Du arbeitest mit diesen Naturmaterialien in dreidimensionalen Objekten und holst dir sozusagen Deine Bestandteile aus der lebendigen Natur?
A.: Ja. Was ich speziell bei Löwenzahnsamen sehr spannend finde, ist, dass er einerseits ein statisch-architektonisches Element ist und damit ein wesentlicher Buchstabe, um meinen Objekten eine spezielle Textur einzuschreiben. Andererseits gleicht kein Löwenzahnsamen dem anderen, obwohl ihm ein bestimmter Bauplan innewohnt. Das schärft die Wahrnehmung der Differenz. Sein zarter Pappus birgt die besondere Qualität, die einem die Möglichkeit eröffnet, in einer Papierform eine zweite innere Hülle zu schaffen, die für mich zwischen materiell und immateriell schwebt. Leben ist extrem vielschichtig, es ist nie einfach, findet nie nur auf einer Ebene statt. Immer gibt es ein Dahinter und Davor, Daneben, Darüber und Darunter. Das interessiert mich auch am Transparentpapier, mit dem ich gerne arbeite: Die Möglichkeit zwischen die Schichten, quasi subkutan, Strukturen aus Samen oder Garn einzubauen, die hindurchscheinen und auch noch durch eine nächste Ebene, dem zarten Gespinst der Löwenzahn Flugschirme, zu sehen sind. Da entsteht eine Vielschichtigkeit, die man erahnen kann, da die Ebenen durchlässig sind und nichts verdecken.
G.: Gleichzeitig machst Du bewusst, dass der Löwenzahn mehr hervorbringt, als die kugelrunde Pusteblume. Sondern Du bringst den Samen auf ebenen Flächen oder auf Innenflächen, kehrst es um machst Schattenbilder daraus ...
A.: Nimmt man sie als einzelne, lebendige Bausteine, mit allem Respekt, kann man da natürlich endlos weiterspielen. Es ist für mich sehr spannend, mit Samen zu arbeiten, da sie erfüllt sind von der Potenzialität zum Wachstum, wenn sie ins entsprechende Klima kommen. Ich habe das Gefühl, dass dieses energetische Potenzial die Arbeiten mit auflädt. Für mich ist Leben immer dieser aktuelle Ist-Zustand, in dem noch verborgene Samen schlummern, die Neues bilden können. Die Möglichkeit der Wandlung ist in und durch diese Samen mit eingeschrieben. Das ist das zentrale Thema des Lebens.
G.: Wenn man sich jetzt diese neueren Arbeiten anschaut, in denen Du z. B. Löwenzahnsamen in Holkörper einbaust, dann ist das ja auch ein Bild des Schöpfungsaktes, den Du da arbeitend, handelnd nachvollziehst. Ist das ein Motiv, dieses unsichtbare, geheimnisvolle, unerkannte Wunder sichtbar zu machen?
A.: Es ist für mich auf jeden Fall eine große Sehnsucht, davon ein bisschen mehr zu verstehen. Auch wenn wir heute angeblich wissenschaftlich erklären können, wie Leben entsteht. Aber warum all diese Zufälle? Was lenkt diesen Ablauf und wie trifft es sich, dass dann tatsächlich Leben entsteht? Dieser Bereich fasziniert mich sehr: Woher kommt der Impuls des Lebendigen? Wie, wo und wann entsteht der Moment, da es sich materialisiert? Gehen wir zum Beginn der Evolution auf der Erde zurück, dann wissen wir von der Verkettung der Aminosäuren, die auf die wunderbare Idee kamen, ein Häutchen zu bilden und somit die erste Urzelle schufen. Durch dieses Häutchen wurde die Potenzialität in ein Inneres und Äußeres getrennt, aber eben nicht abgeschlossen. Denn wäre es dicht, vollständig getrennt, würde es sofort absterben. So ist diese Hülle eigentlich keine Grenze, sondern eine Ebene der Kommunikation und des Austauschs. Durch diese Verkettung und das Bilden einer lebendigen Haut hat sich das gesamte Leben differenziert, immer weiter differenziert in Pflanzen und dann Tiere und schließlich auch uns hier. Das ist für mich ein riesiges Faszinosum, um das meine Arbeit, meine Suche kreist. Ich glaube, mein Leben ist zu kurz, um das wirklich zu verstehen. Ich wünsche mir nur tiefer einzutauchen, ein bisschen was davon zu begreifen.
G.: Kann man dann sagen, dass Deine Kunst so was wie so ein Spiegel ist von den unsichtbaren Mustern, die uns mit dieser Mitwelt verbinden? Unsere Kultur ist ja eigentlich eine, die sich auf einer Abgrenzung von Umwelt definiert und die vielleicht gerade erst anfängt, Mitwelt-Bewusstsein zu öffnen?
A.: Meine Kunst ist der Ausdruck, dass ich da auf der Suche bin. Ich würde nicht behaupten, schon Antworten oder große Weisheiten erschlossen zu haben. Aber ich nehme diese Vernetzung immer deutlichen wahr. Es ist mir ein zentrales Anliegen, dieses Bewusstsein anzuregen, weil ich uns, weil ich mich als extrem verbunden empfinde. Ich erlebe mich nicht außerhalb, als ein Betrachter der von einem Jägerstand aus ins Umfeld schaut, sondern weiß, die Flüssigkeit in mir ist Wasser das schon Wolke und Meer, Regen und Schnee war und es wieder sein wird. Das ist einfach ein Stück Realität. Gelingt es mir, das durch meine Arbeiten zu transportieren, dann ist das gut. Natürlich wird es nur für die Leute lesbar, die überhaupt bereit sind, zu schauen. Ich kann nur versuchen an diese Bereitschaft anzudocken. Aber ich kann die Erfahrung nicht für die andern machen.
G.: Aber Du versuchst Nicht-Sichtbares sichtbar zu machen?
A.: Na ja, wenn man genau schaut, ist es eigentlich sichtbar. Es scheint durch die Brille unserer Kultur vielleicht nicht so offensichtlich. Aber wenn man lange genug atmend in einer Wiese sitzt, fühlt man dieses Pulsieren, hört alles sich austauschen und erfasst die Durchdringung. Ich glaube, es ist nicht so immateriell oder esoterisch wie es vielleicht klingt, sondern wird sichtbar, wenn man sich die Zeit nimmt. Vielleicht versuche ich nur, es im Prozess des Begreifens konkreter zu formulieren.
G.: Wenn wir nochmal auf die zentrale Metapher der Haut kommen. Es gibt den buddhistischen Lehrer Allen Watts, der von unserem »skin incapsuled ego«, von unserem »hautumkapselten Ich« spricht. Er fordert uns auf, aus diesem hautumkapselten Ich ein Stück weit herauszutreten, und zu realisieren, dass unser individuelles Ich größer ist, weil es z. B. den Baum mit beinhaltet, der uns die Luft zum atmen gibt, also ein Teil des Körpers ist. Geht es in Deiner Kunst um diese Öffnung für eine weitere Identität, für ein weiteres Ich? Für wachsende Ringe des Selbst?
A.: Ja natürlich! Das Ego ist ja auch im buddhistischen Weltbild die hinderliche Begrenzung. In der keltische Mystik gibt es das Bild, dass der Körper in der Seele wohnt, dass die Seele eine größere Hülle ist, die den Körper schützend umgibt. Das spricht ja sehr viel mehr unsere Vernetzung an. Dass, wenn zwei Menschen sich gegenübersitzen, auch ihre Seelenräume einander durchdringen. Das ist auf jeden Fall eine wichtige Erweiterung der Weltwahrnehmung. Wir sind keine abgetrennten, einzelnen Sputniks, die hier durchs Universum sausen, sondern multidimensional eingeflochten in den größeren Zusammenhang.
G.: Wie weit geht diese Wahrnehmung der Verbundenheit mit diesen nicht menschlichen Grundlebensformen, die du darstellen willst? Es scheint, als wären Deine Arbeiten auch so etwas wie schöpferische Fühler eines lebendigen Universums.
A.: Ich finde das ein sehr schönes Bild für den Sinn des Lebens. Man muss sich vorstellen, dass sich aus der Potenzialität des Universums diese immer differenzierteren Strukturen herausgebildet haben, die jetzt hier auf der Erde als Lebensformen erscheinen. Das beginnt mit dem Werden der Sterne, die die Elemente in ihren strahlenden Sonnen-Hochöfen geschmolzen haben und diese dann, im Vergehen, als Super-Novas ins Weltall geschleudert haben. Daraus haben sich Planeten gebildet, daraus ging Wasser sowie Sauerstoff hervor und daraus ist mittels Sonnenenergie Leben entstanden. Ich glaube, dass es einen bestimmten Sinn hat, dass es sich immer weiter ausdifferenziert hat. Damit sich Pflanzen bilden, die Natur, auf ihre Art wahrnehmen und Tiere, die mit ihren Sinnen das Leben, die Landschaften und vielleicht das Universum erfahren. Bis zu uns als eine Form von ausgebildeten Fühlern, die es dem Universum ermöglichen, sich selbst wahrzunehmen, Bewusstheit zu bilden, oder Bewusstheit zu vermehren. Das wird bereichert durch unsere Möglichkeit der sinnlichen Wahrnehmung und der Reflektion. Ich denke, dass sich Wirklichkeit aus unzähligen, unterschiedlichsten Perspektiven zusammensetzt und dass Realität sich aus all diesen Myriaden von Realitäten zusammensetzt. Die Vorstellung, einen winzigen Aspekt zu dieser Ganzheit beizutragen, indem ich selbst möglichst bewusst wahrnehme, finde ich eine ziemlich schöne Lebensaufgabe.
G.: Das würde dann im Endeffekt bedeuten, dass Du Dich selbst als jüngster fühlender Ausdruck eines Universums erlebst. Dann ist Deine Kunst der Ausdruck eines Universums, das sich selbst betrachtet und erforscht?
A.: Ich finde es ein sehr schönes Bild, ein Schnauzhaar der kosmischen Katze oder eine Knospe am Baum des Lebens zu sein. Ich hatte neulich, für mich, so ein inneres Bild, dass meine Urgroßmutter eine Supernova war und mein Urgroßvater die Gravitation, und daraus, über die Jahrmilliarden, dann all diese Enkelkinder, die jetzt hier unterwegs sind, entstanden sind. Die Möglichkeit, tastend, hinaus zu fühlen, um Zusammenhänge wahrzunehmen, prägt meine Arbeit, ist die Art wie ich Leben empfinde und worin ich einen Sinn erahne.
G.: Und könnte man dann formulieren: »Wir sind das Ergebnis von Millionen von Liebesgeschichten«?
A.: Unbedingt! Weshalb ich auch schon meine Ausstellung in Rio: »Am Anfang war Beziehung« nannte. Letztlich ist das gesamte Leben eine unendliche Liebesgeschichte, als Grundimpuls. Mit allen Möglichkeiten zum Wachsen und Vergehen, für Schmerz und Freude.
G.: Das ist ja im Kontakt mit der Mitwelt auch ein ganz sinnlicher, körperlicher, verschmelzender und vielleicht sogar erotischer Kontext, oder?
A.: Auf jeden Fall. Die sinnliche Wahrnehmung hat immer auch mit all diesen Möglichkeiten zu tun, weil man sich Selbst und die Existenzen, die einen berühren oder abstoßen, sehr bewusst spürt. Gerade die Auseinandersetzung mit Erotik ist für mich durchaus auch ein aktueller Künstlerinnen-Auftrag. An dieser Stelle nehme ich dann doch ganz bewusst Bezug zur Kunstgeschichte, wo Weiblichkeit seit Jahrhunderten als sinnliches Objekt benannt wurde und als solches in die Museen gewandert ist. Ich denke, es ist dringend an der Zeit, den Raum der weiblichen Selbstdefinition mit Lust und Eigensinn einzunehmen. Das fordert, selbst Bilder dafür zu schaffen und sich nicht mehr definieren zu lassen, sondern eigene Setzungen zu dem Thema vorzunehmen.
G.: In den indianischen Kulturen wird gesagt, dass es eine Qualität des Weiblichen ist, Raum und Zeit für Wachstumsprozesse anzubieten. Ist deine Arbeit in diesem Sinne weibliche Kunst?
A.: Auf jeden Fall. »Weibliche Kunst« ist allerdings hier, jetzt, in der aktuellen Kunstszene, zumindest der bayerischen, ein schwieriger Begriff. Weil das Vorurteil, männliche Kunst sei universal und weibliche Kunst nur selbstbezüglich, immer noch eine Degradierung bedeutet. Mir ist jedoch noch nie ein wahrhaft objektiver Mensch begegnet. In meinem eigenen Arbeitsprozess ist mir, gerade weil ich mich viel mit Wahrnehmung auseinandersetzte, völlig bewusst, dass ich aus einem weiblichen Körper heraus wahrnehme und auch nicht für den männlichen sprechen kann. Von daher ist es eigentlich selbstverständlich, wenn ich auf diese Weise arbeite, dass sich dadurch eine weibliche Perspektive ausdrückt. Trotzdem bin ich überzeugt, dass Männer genauso die Möglichkeit zu einer weiblichen Seite haben, wie auch ich Zugang hab' zu männlichen Perspektiven. Aber was da bei mir entsteht, hat viel mit meiner weiblichen Perspektive zu tun. Dass es mich hinzieht zu diesen Wachstumsräumen, kann ich schon so annehmen.
G.: Du arbeitest viel mit dem Kreis, also mit Kreisformen: Darin liegt ja auch eine größere Assoziation zu zyklischen Prozessen statt zu linearen. Was ist der Kreis für eine Metapher für Dich?
A.: Der Kreis, die Kugel ist erst einmal wirklich ein Grundvokabular des Universums. Als Form, als Struktur, tauchen sie überall auf – von den Umlaufbahnen der Planeten bis zum Einzeller. Der Kreis ist ein Grundstempel des Lebens, den ich als Symbol für die vitale Potenzialität einsetze. Natürlich ist er auch ein Bild für eine zyklische Welt-Wahrnehmung, einen zyklischen Zeitablauf, auf den ich mich bewusst, im Gegensatz zu einem linearen, beziehe. In meinem täglichen Erleben wiederholen sich Abläufe wie Licht und Dunkel und die Jahreszeiten. Auch bestimmte Themen tauchen immer wieder auf, die Bewegung folgt eher der Bahn einer Spirale. Die Existenz, scheint mir, hat keinen Anfang und kein Ende, sondern es geht immer von einem Prozess in den anderen über. In dem Sinne denke ich auch den Tod nicht als Ende. Denn wenn man Natur beobachtet, ist es immer Transformation und Veränderung und nicht ein völliges Rausfallen aus allen Zusammenhängen.
G.: Ist Deine Kreismetapher ein Merkmal weiblicher Kunst, eines weiblichen Weltbildes, weiblicher Weltwahrnehmung, mit der Du an ganz alte symbolische Kontexte anschließt?
A.: Dass ich damit natürlich auch verbunden bin, würde ich nicht von mir weisen. Aber ich denke, die zyklische Wahrnehmung ist tatsächlich ein wesentlicher Teil unserer Realität, also auch naturwissenschaftlich. Es entsteht diese Wahrnehmung bei genauerer Betrachtung, dass die Wirklichkeit wiederkehrend und damit zyklisch ist. Ich würde es nicht rein auf das »weibliche Weltbild« zuspitzen. Vielleicht haben sich weibliche Kulturen mehr damit befasst, es aus ihrer leiblichen Erfahrung mehr thematisiert. Ich glaube eigentlich ist es nicht nur ans Weibliche gebunden sondern ein allumfassendes Lebensprinzip.
G.: Deine Arbeiten zeigen oft etwas wie gebärmutterähnliche Innenräume und Du arbeitest auch häufig mit dem Symbol der Yoni oder Vagina. Du trägst Samen in Innenräume, verhüllst Räume und machst sie sichtbar. Das ist eine sehr sinnliche Arbeit, die eine Annäherung an die eigene weibliche Schöpferinnenkraft zu sein scheint.
A.: Ja, das sind letztlich die Räume, aus denen wir alle herkommen, in denen jeder Mensch schon war. Sicherlich, als Frau beherbergt man so einen potenten Raum, aber es ist ganz grundsätzlich für alle Lebewesen – Menschen wie Tiere – die im Leib getragen werden, ein bekanntes Umfeld. So ist es doch nur natürlich, wenn man sich um die Erkenntnis bemüht, wo Leben entsteht. Wenn man sich fragt, wie und wann tritt Bewusstheit in Materialität? Ist Leben geronnene Bewusstheit, komprimierte Energie? Und wo äußert sich das? Wer diesen Fragen nachgeht, kommt aus dem menschlichen Erleben heraus schnell an diese Anfangsformen. Die Fruchtblase ist unser erster Raum, in dem wir klopfend beginnen zu sein, zu lauschen, bis dann allmählich die anderen Sinne geweckt werden.
G.: Wenn Du Dich so stark auf Schöpfungsprozesse beziehst, dann sind das ja transformative Prozesse, in denen immer auf Basis des Alten was Neues entsteht oder sich etwas im Prozess weitet. Gleichzeitig ist Kunst ja so etwas wie ein Einfrieren des Augenblickes. Erlebst Du Deine Kunst als Darstellung einer Dynamik oder als eine Momentaufnahme?
A.: Der Ansatz, Wandlung zu thematisieren, taucht in meinen Arbeiten relativ früh auf. Er brachte mich weg von allzu starren Materialien, denn dieser Prozess erfordert Flexibilität. Als ich angefangen habe mit Papierhüllen zu arbeiten, kam ich dem näher. In meiner Diplomarbeit wollte ich eine Form von Selbstbildnis machen, das klar transportiert, dass unser Sein immer ein Durchgangsstadium ist. Ich habe einen freistehenden Flur aus vier großen Papiertafeln gestaltet, in den verschiedene Figuren, die mein Leben bis dahin sehr geprägt haben, quasi eingedrückt waren. Innen, zwischen den Wänden stehend, sah man die Figuren dreidimensional aus den Wänden ragen. Ging man aber außen herum, sah man durch Öffnungen in den Flurwänden in die hohlen Körper. Es waren nicht mehr selbst präsente Figuren, sondern nur noch Abdrücke in meiner Haut. Meine Haut erschien in Gestalt eines Flurs, eines Transitortes. Denn es war mir klar, im nächsten Moment kommt der nächste Abdruck, folgt eine weitere Prägung. Dennoch ist es ebenso eine konkrete Installation wie eine Momentaufnahme, die immer die Offenheit darstellen soll, sich im nächsten Moment ändern zu können. Im Prozess des Arbeitens lege ich die Form auf eine bestimmte Weise fest, und damit bleibt erst einmal dieser quasi eingefrorene Augenblick. Durch die Fragilität der Materialien und den Inhalt, den ich hineinflechte, versuche ich, die Installation nicht in einem Zustand erstarren zu lassen, sondern ihr die Möglichkeit der Veränderung zu erhalten. Damit arbeite ich auch in der Präsentation, in dem ich viele Objekte z. B. hänge und sie sich tatsächlich mitdrehen, in Bewegung geraten, in Resonanz gehen mit jemand, der in ihrer Nähe durch den Raum geht, oder dem Windhauch eines offenen Fensters folgen. Ich will, dass die Objekte den Prozess der Transformation zeigen. Von meiner Idee her dürfen die Arbeiten ausstrahlen, dass, wenn man die Türe zumacht und am nächsten Tag wieder in den Raum kommt, sie vielleicht schon wieder in einem anderen Prozess sind. Ich möchte, dass die Assoziation geweckt wird, sie könnten sich auch plötzlich vermehrt haben, verändert oder ausgeschlüpft sein. Denn das ist der Grundzug des Lebendigen, sich jede Sekunde zu verändern. Das einzig Verlässliche ist der Wandel.
G.: Was findet da in Dir statt, wenn du so arbeitest. Ist das ein kognitiver Prozess, ein sinnlich forschender oder ist das ein Gewebe aus beidem, was sich gar nicht trennen lässt?
A.: Der Arbeitsprozess selbst geschieht eher aus einer meditativen Haltung heraus. Ich empfinde es als ein Eintauchen, in Resonanz und ins Tun gehen. In diesem Zustand bin ich eher selbstvergessen, überlasse mich dem Prozess und hab das Gefühl in einer sehr sinnlichen Kommunikation mit dem Objekt und seinem Werdenwollen zu sein. In einem Austausch, den ich aber nicht aus dem Verstand leite. Es gibt dann schon Momente, wo ich auftauche und mir denke: »Huch! Was passiert da?« Aber in der Regel ist es dann sehr schnell klar: »Schalte die Gedanken wieder ab, vergiss die Kontrolle, die dich auf Bekanntes begrenzt!« Ich mache einfach den nächsten Schritt, der mir klar ist und es führt mich weiter zu dem, was dann zu tun ist. Es ist eher ein Lauschen. Ich habe mehr das Gefühl, mir würden Geschichten erzählt, und dabei entstünden die Objekte, als dass ich etwas bewusst aus der Ratio schüfe. Ich empfinde das wie eine materialisierte Kommunikation mit dem Sein.
G.: Wie geschieht der Prozess der Inspiration für diese Werke? Passiert das in der Natur, im Traum, in Deiner Körperwahrnehmung, vielleicht in der Auseinandersetzung mit Makroaufnahmen aus dem Biologiebuch, oder wo kommt das her?
A.: Gute Frage! Seit ich unbeirrter meinem roten Faden folge, tauchen die Objekte, wie Besucher, in meiner Wahrnehmung auf. Meistens in sehr entspannten Situationen in der Natur, wie auch kurz vor dem Einschlafen oder in der Sauna. In Momenten, in denen ich nicht konkret danach suche, sondern offen bin, die Gedanken zur Ruhe kommen und es still ist in mir. Dann tauchen manchmal sehr konkrete Bilder in meiner Wahrnehmung auf. Keine Ahnung, wo die herkommen. Keine Ahnung, welcher Eindruck die Synapsen aktiviert, sich neu zu vernetzen oder was auch immer da vorbewusst abläuft. Sie haben jedenfalls schon einen Bezug zu meinen Materialien und Formensprachen, dennoch empfinde ich sie eher als »Besucher« – ohne das jetzt mystisch aufladen zu wollen. Für mich sind es Wesen, die auftauchen, weil sie jetzt eben gemacht werden wollen. Und ich nehme das Angebot an, wenn ich es schaffe, dafür den Freiraum zu kreieren.
G.: Viele Arbeiten, die Du machst, zeigen sich in einer Durchsichtigkeit und wirken – auch zum Teil durch Beleuchtung dahinter – wie eine leuchtende Schöpfungskraft. Für mich sprechen sie auch so was wie die Ehrfurcht vor dem Lebendigen an. Ist das auch spirituelle Kunst oder die Schöpfungs-Spiritualität sakraler Kunst?
A.: Ich glaube, das berührt und motiviert mich. Gerade weil Du von Licht sprichst: Ich las neulich in einem Buch, in dem moderne Biophotonenforschung zitiert wurde, von der Annahme, dass durch Lichtkörperchen Lebendigkeit übertragen wird und dass Licht die Grundenergie des Lebendigen ist. Vielleicht ist auch von daher Licht für mich ein wesentlicher Faktor. Da gibt es den Begriff der Transluzens. Dieses durchwirkt werden von Licht ist ein Seins-Zustand, von dem unsere Vitalität abhängt. Und ich denke, die Frage nach dem Ursprung des Lebens kommt, auch über den wissenschaftlichen Weg, irgendwann an den Punkt, wo sie sich mit dem Spirituellen kreuzt. Was ist Schöpfung? Was hat das ausgelöst? Wo kommt der Impuls her? Diese Fragen führen logischerweise auch mich in diesen Bereich. Daraus ist, über die Jahre, eine große Hingabe an diesen Prozess des Werdens entstanden. Sich auf diese Fragen einzulassen, führte mich dahin, künstlerisch so etwas wie Gebete an diese unglaublich faszinierende Schöpfungskraft des Lebendigen zu formulieren. Da ist, von meiner Seite aus, eine große Achtung, die das Bedürfnis weckt, sich so auszudrücken.
G.: So, wie du mit der Metapher der Haut und den Innen- und den Außenräumen arbeitest, kommt da auch dieses Thema von »alte Häute abstreifen«, »neue Häute formen« hinein. Steckt da in der Arbeit, die Du machst, auch eine Auseinandersetzung mit menschlicher Identität und mit den Wandlungsprozessen, durch die wir gehen?
A.: Unbedingt! Da man Welt über sinnliche Wahrnehmung erfährt, ist darin natürlich immer auch der Bezug auf den eigenen Körper, auf die eigene Existenz, präsent. Das habe ich in vielen Arbeiten thematisiert, zum Beispiel am Bild von Schlangen, die sich immer wieder in eine Erdhöhle zurückziehen, um dann, die alte Haut abstreifend, wie neu, wie gewandelt weiter ins Leben zu gleiten. Was ihnen in vielen Kulturen den Ruf einbrachte, unsterblich zu sein. Für mich ist es einfach eine sehr schöne Metapher, dass wir – wenn wir den Mut haben, uns auf den Prozess einzulassen und nicht nur Stacheln und Hüllen darüber ziehen – auf dem Weg zur eigenen, innersten Realität wie eine Zwiebel immer weitere Schalen ablegen müssen, um immer purer wir selbst zu werden. Das entspricht auf jeden Fall meiner Erfahrung, dass wir im Lauf unserer Lebensgeschichte immer wieder in Situationen kommen, an denen wir uns quasi in unsere Hülle zurückziehen, die vielleicht zu eng geworden ist, um irgendwann da durchzubrechen und in einer veränderten Form wieder aufzutauchen. Also ob das jetzt in der Pubertät ist oder auch zwischen 40 und 50 in verschiedenen Krisen, diese Wandlungsprozesse sind dem Leben, der Natur immanent, und somit auch etwas Urmenschliches.
G.: Vorhin waren wir bei dem Bild, dass man sich über die begrenzte Haut in den größeren Raum weitet. Jetzt gibst Du ein Bild, nach dem man sich wie Zwiebeln Schalen abschält und immer mehr auf eine innere Essenz konzentriert. Sind das zwei Pole der gleichen Sache?
A.: Es sind für mich zwei Bilder von derselben Sache. Ich sehe das eher holografisch, dass es sich, gleichzeitig, bis ins Innerste, bis ins Kleinste fortsetzt. Wie auch nach außen ins Universale, Unbegrenzte. Das ist es, was mich an Dreidimensionalität so fasziniert, weil sie beinhaltet, dass die Bewegung immer in alle Richtungen geht. Wenn Du offen ins Außen schaust, in Resonanz mit etwas gehst, landest Du immer auch im Inneren. Indem Du berührst, wirst auch Du, unmittelbar, von etwas berührt. Du kannst das Außen nur wahrnehmen, wenn Du Dich selber auch spürst. Ich glaube, das ist eine Gleichzeitigkeit: die Hüllen abstreifen und sich neue Kokons bauen, Grenzen zu setzen und sie auch wieder hinter sich zu lassen, indem man die Kokons wieder durchstößt, aufbricht und verlässt, um Neuland zu betreten.
G.: Und viele von deinen Werken sind ja auch Arbeiten, bei denen man zwar von Außen draufschaut, aber nach Innen hineinschauen kann.
A.: Genau, ich will es möglich machen, dies gleichzeitig, auf einen Blick, wahrzunehmen: Im selben Moment sowohl auf die äußere Form und die Umgebung, den Raum drumherum, als auch in diese inneren, meistens mehreren Schichten sehen zu können, tiefer und noch tiefer. Die Gleichzeitigkeit dieser Möglichkeit ist für mich sehr nah an der Realität, die erlebbar wird, wenn man Wahrnehmung und empathische Fähigkeiten immer weiter ausprägt.
G.: Kannst Du etwas mit der Metapher anfangen, dass Kunst – so wie die Imago-Zellen der Raupe den Schmetterling vorwegnehmen – so etwas bildet wie Zellen veränderter Wahrnehmung?
A.: Das wäre absolut anzustreben, ich weiß allerdings nicht, ob ich das erfülle. Der Gedanke reizt mich sehr, Impulse zu geben und in die Gesellschaft hineinzuwirken. Ob es angenommen wird oder nicht, bleibt offen. Es ist natürlich ein sehr klassisches Bild von dem Visionär, der in der Kunst etwas formuliert, was dann erst in hundert Jahren vielleicht zur Blüte kommt. Das würde ich mir jetzt nicht rausnehmen und will mich auch nicht hinstellen und sagen, ich wüsste schon, wo es lang geht. Aber ich denke, dass es notwendig ist, sich der komplexen Vernetzung bewusster zu werden, um das Überleben hier auf dem Planeten für weitere Generationen möglich zu machen. Ich glaube, dass ist einfach eine Realität, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Und gerade das Thema der Metamorphose interessiert mich in diesem speziellen Wandlungsprozess sehr. Da entstehen ja in der verpuppten Raupe diese neuen und eigenständigen Imago Zellen, die vom Immunsystem des Körpers erst einmal abgestoßen oder bekämpft werden und sich trotzdem unbeirrt vermehren, Cluster bilden und dann irgendwann miteinander vernetzen, um das neue System Schmetterling zu initiieren und auszubilden. Das finde ich ein sehr inspirierendes und zukunftsweisendes Bild, auch für gesellschaftliche Veränderungsprozesse, weil das Leben erhalten bleibt, all dies ist nicht zerstörerisch wie bei der Veränderung in Form einer Revolution.
G.: Ist im Sinne dieser vertieften Wahrnehmung Deine künstlerische Arbeit als kultureller Impuls auch politisch?
A.: Für mich hat es, aus meinem verantwortlichen Selbst-Bewusstsein heraus, einen politischen Ansatz. Ob das so beim Betrachter ankommt, habe ich nicht in der Hand. Aber ich denke, dass ein achtsamer Umgang mit sich, den Umstehenden wie Entfernteren inklusive der »mehr als menschlichen Welt« durchaus ein sehr politischer Ansatz ist, wie er ja auch in der auf Harmonie mit der Natur zielenden Tiefenökologie thematisiert wird. Und das halte ich für eine Notwendigkeit, wenn wir unsere Existenz erhalten wollen.